von Otto Pötter

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Statt immer nur zu leisten,
empfangen wir am meisten
durch Offenheit und Stille –
wenn zur Ruhe kommt der Wille.

Denn über jeden Willen wollen
willentlich wir mehr noch rollen;
bis letztlich kaum noch etwas glückt,
weil alles schwankt, bis dass es kippt.

Dabei wär es so einfach:

Statt immer nur zu leisten,
empfangen wir am meisten
durch Offenheit und Stille –
wenn zur Ruhe kommt der Wille.

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Bei Vollmond geht es wieder rund;
gut schlafen, das ist nicht zu hoffen –
selbst Psychiatern steht der Mund
bei solcherart Problemen offen.

Hat auch Herr Freud vielleicht gescheit
vollmondig psychisch das geklärt,
was in uns nach Dusel schreit,
so ist dennoch der Schlaf gestört.

Augen auf und Augen zu         
wälzt man sich reizbar hin und her   
und findet einfach keine Ruh,  
quält man sich matt auch noch so sehr.

Was hilft? Schon gar nicht simulieren,
sich mit Fiktivem nicht befassen!  
Etwa, es doch mal zu probieren,  
den Mann im Mond ins Bett zu lassen …

Besser nicht. Nicht so viel meinen,
dann schlummert man alsbald dahin.
Soll doch der Vollmond protzig scheinen,
der Mann im Mond hat kein Check-in.

von Otto Pötter, Rheine

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Alltagsstress verdreht den Blick.
Hier Geklingel, da ein Klick –
dazu Kritik, oft gar mit Schmäh,
das überreizt und tut auch weh.

Oft weiß man weder ein noch aus.
Dann hilft nur eins: Raus aus dem Haus!
Es gibt da nämlich, Gott sei Dank,
am Fluss dort eine stille Bank.

Jenseits der Aufstiegshanselwelt,
klärt sich dort das, was wirklich hält.
Schau auf den Fluss, wie ruhig er gleitet
und sich zum Horizont hin weitet –

ob bei Sonne oder Regen.
Allein sein Dasein ist ein Segen.
Ja, statt Missmut und Verdruss,
scheint wieder alles gut im Fluss …

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Aus dem Haus heraus ruft es mir zu: „Dat Tweeuhrköppken is feddig! To! De Kaffe is glieks dör!“ Nur für Landfremde: An der Ems sagen wir „Kaffe“ und nicht Kaffee. Unser fein gemahlener Bohnenkaffee läuft noch, „mit brausend heiß Wasser“ (so heißt das hier), von Hand aufgegossen, durch die gute alte Melittatüte, um „keinen Prütt nich in der Tasse zu haben“. Dabei dröppelt er nicht in eine Tasse, sondern in einen Kaffepott. Da passt gut was drin. Tassen sind mehr was für Tuckeltäntchen, die mit ‘nem Tässchen gerne feintun und dabei vom zierlichen Henkelchen das kleine Fingerchen so nüdlich abspreizen. Von kontemporären Coffiefreaks ganz zu schweigen. Gott Dank muss sich unser Kaffe nicht erst fauchend, röhrend und zischend durch eine umgebaute Harley-Davidson winden, um sich dann aus einem chromglitzernden Auspuff lüllend in eine klobig lütte Keramikkuhle zu ergießen. Nö. So ein rausgepresster Lavazza in Ehren, er ist aber nicht unser Begehren. Wir wissen schon, was wir an unserem Käffchen haben. Mit Tee sind wir da ab Papenburg schon was pingeliger. Unsere Bohnen aber müssen von Bremen her wegkommen. Und dann, schön fein gemahlen, heiß durch die Tüte, schlückchenweise … 

     Also da capo: „Was is?! Ick sin mit den Koffi sowiet!“ Eher ich lapidar antworten kann, gleich noch – oh, auf Hochdeutsch! – die besorgte Frage hinterher: „Ist das zum Draußensitzen nich wohl noch was zu frisch?“ „Nö!“, rufe ich träge zurück, um noch eine Weile Ruhe zu haben, „hier, Südseite, kann man’s schon gut aushalten! Män langsam an da in de Küche, der Kaffe läuft schon nich weg!“ 

     Mag auch der Kaffeeduft locken, mir scheint, just hier draußen wird nun meine Nase begieriger. Alles riecht schon irgendwie anders. Wie ließe sich das nur richtig sagen? Es ist wie ein Wispern, das die Nase hört. Irgendwie so eine kuriose Empfindungsmelange aus Luft- und Erdmolekülen. Ein unvergleichliches Bouquet aus aufgebrochener Ackerscholle und feinem Birkenduft. Und da dringt nun auch noch, soeben wahrnehmbar, ein Hauch Hyazinthenduft mit durch. Welch ein Aroma! Hmm …  Lenz liegt in der Luft.

Ich sitze auf der Hausbank. Nebenbei bemerkt ist an der Ems ein Haus ohne Hausbank kein wohnliches Heim. So kann ich nun endlich wieder, schön Südseite, unter freiem Himmel sitzen und die erste milde Mittagssonne genießen. Herrlich – und doch … Hu! Unwillkürlich ziehe ich mich zusammen. Prompt pustet aus Nordwest, eine schattige Windböe um die Ecke. In der Bodensenke vor mir bibbert die verbliebene Wasserpfütze. Das Licht kräuselt sich in ihr. Doch das war’s auch schon. Die frische Böe machte nicht mehr viel her. Das bisschen Wind war nur Luft. Die Sonne lacht darüber. Gut so. Es geht aufwärts, himmelan! Lenz liegt in der Luft.

Das scheint auch ein Kiebitz gemerkt zu haben. Flugs lässt er sich – wipp, wipp – mit munterem Gehüpf an der Pfütze nieder, schaut sich um, schaut auf die Pfütze und ruft übermütig seinen eigenen Namen, so als wolle er ausrufen: „Ja, ist denn das die Möglichkeit? Ich bin’s!“ Toll. Auch er spürt es: Lenz liegt in der Luft. Seitab schaut sich das mit nur einem geöffneten Auge Bello teilnahmslos an. Der braun-weiße Münsterländer liegt ganz still in der Mittagssonne, den Kopf flach auf seine Vorderpfoten gelegt. Mit einem eintrötig sachten Gebrumm signalisiert er, wohlig dahindämmernd, nur vages Interesse. Immerhin öffnet er ungerührt auch noch das andere Auge, so, als wolle er dem Kiebitz signalisieren: „Nun zappel da doch nicht gleich so herum. Lass dich lieber von den ersten warmen Sonnenstrahlen streicheln.“ Auch Bellos Witterung trügt ihn nicht. Lenz liegt in der Luft.

     Wie Bello blinzele ich mit halbgeöffneten Augen in den weltenfernen Himmel. Soeben feinblau, längst nicht mehr so grau. Mir ist, als wirke schon etwas Wärme mit durch, so als wollten sich Licht und Sonne vermischen, Himmel und Erde eins sein, quasi wie eine Doppelnatur, wie Moll mit Dur. Das gibt’s wohl nur im Frühling. Ja, Lenz liegt in der Luft.

     Ich atme tief durch. Das Frühjahr hat viele Aromen. Es riecht gesund, mit einem krautig-bitteren Hauch. Das macht, wohl vorn von der Hecke her, der Holunderbusch. Es scheint, als wollten in der wohlig-warmen Mittagssonne seine üppigen Knospen schon gerne platzen. Das verströmt dieses intensive Aroma. Zieht das die Vögel an? Plötzlich ist’s ein Piepen, Zwitschern, Hüpfen, Flattern und Springen. Besonders da seitlich am gluckernden Grabenrand. Das plätschernde Wasser funkelt um den alten Birkenstamm herum. Die Birke ist so alt wie ich. Der alte Gayer, mein Urgroßvater, hat mir oft erzählt, dass die kleine Birke damals zu meiner Taufe sein Geschenk an mich war. Sie habe es da im Garten „erst gar nicht so recht tun wollen“, dann aber doch „gut Fuß gefasst“. Otto, denke ich, irgendwie passt das zu dir. Hätten die Ahnen seinerzeit geahnt … In die Lenzphilosophie mischt sich ein so ein wohliger Anflug Melancholie. Schön. Just so, als wolle der Baum sich auf seine Art daran beteiligen scheint es, er versuche, mit seinen feinen, peitschenförmigen Zweigen noch was vom Wind einzufangen. Doch ist da nicht mehr viel zu fangen. Nein. Lenz liegt in der Luft.

    Ich werde wieder gerufen. Streng: „Entweder kömms nu orre ick kipp en glieks wech! Koffi is nich wat för Klüngelantons!“ „Jaja, ick komm all!“ Ich recke mich, stütz die Hände auf die Knie und stehe auf. Die Birke zieht mich magisch an. Aus einer Borkenwunde quillt ein Tropfen, ein Tropfen Birkenfrühlingssaft. Fein glitzert funkelnd punktgenau die Sonne darin. Vorsichtig tippe ich mit dem Zeigefinger daran und nippe davon. Mit nichts zu vergleichen … Reines Frühlingsaroma! Bei diesem besonderen Geschenk der Natur vergesse ich den Kaffee. Kein Wunder, denn:

     Lenz liegt in der Luft.

Blühn aus Plattdeutsch feine Döönkes,
spriessen Hochdeutsch nette Klöönkes.
Worum es sich auch immer dreht,
meist geht‘s darum, wie es so geht.

Wer klöönen kann, „ohn‘ viel Gedoo“,
sagt, wie es ist, doch mit Niveau.
Gleicht das Gespräch auch keiner Kür,
es hat mit einem Wort „Gespür“.

Und sollt‘ es auch mal stille sein,
fühlt man sich dennoch nicht allein.
Mutmaßlich brauchen auch Gedanken
hin und wieder einmal Schranken.

Sich so behutsam zu berühren,
lässt sich einander besser spüren.
„Emstypisch“ nennt man das hier wohl.
Das Wort, mir scheint es, klingt nicht hohl.